Zweiter IPPNW-Kongress "Medizin und Gewissen"
Erlangen 24.-27. Mai 2001

Wenn Würde ein Wert würde ...

Bundespräsident Johannes Rau sagt "Nein", Bundeskanzler Gerhard Schröder sagt "Ja". Der Streit um die Grenzen der Gentechnik spitzt sich zu. Welchen Kurs wird Deutschland einschlagen? Wie werden medizinische Ziele, wirtschaftliche Interessen und die Fragen der Menschenwürde in der Medizin in Einklang gebracht? Ist das alles eine Frage des Gewissens?

Der Zeitpunkt passt genau: Eine Woche nach der "Berliner Rede" des Bundespräsidenten und eine Woche vor der spannungsvoll erwarteten Bundestagsdebatte zur Biomedizin beginnt in Erlangen der 2. IPPNW-Kongress "Medizin und Gewissen". Was man vor Wochen noch nicht vorhersagen konnte: Es wird einer der bundesweit größten Medizinethik-Kongresse der letzten Jahre.

Angesichts der Zuspitzung der Debatte um die Biomedizin gewinnt nicht zuletzt die Erlanger Rede der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes besondere Bedeutung: Gerade in der Forschung könnten in Zukunft immer mehr biomedizinische Probleme vor Gerichten landen. Während der feierlichen Eröffnungsveranstaltung in der Erlanger Stadthalle blickten alle auf Jutta Limbach, die als Schirmherrin der IPPNW-Tagung zum Thema "Menschenwürde, Menschenrechte und der Fortschritt der Medizin" sprechen sollte. "Ich habe gezögert", gestand Limbach. Denn manche könnten glauben, "dass sich jetzt die 3. Gewalt in Stellung bringen will."

Die oberste Rechtshüterin warnte indess davor, vermeintliche Rechtsauffassungen des Karlsruher Gerichts zu den aktuellen Fragen der Fortpflanzungsmedizin und Embryonenforschung vorwegzunehmen. Ganz im Sinne des Kongresses war ihre Rede ein Plädoyer für den öffentlichen Diskurs. Wie mit dem Leben aus dem Reagenzglas umzugehen sei, müsse zuallererst vom "republikanischen Publikum" diskutiert werden, so Limbach. Genau dazu hatte die IPPNW an Christi Himmelfahrt über 140 Vortragende nach Erlangen eingeladen. Drei Tage lang diskutierten und referierten sie - honorarfrei! - in rund 60 Veranstaltungen mit knapp 1.500 TeilnehmerInnen. Dabei standen neben den aktuellen Themen der Biomedizin und Technologiefolgen ebenso Fragen der Menschenrechte und Gesundheitspolitik auf dem Programm.

Neben den Vorträgen und Diskussionen - die übrigens noch in diesem Jahr als Kongressdokumentation vorliegen werden - waren es die Begegnungen zwischen den Veranstaltungen, die viele begeistert haben. Da mischte sich das "Urgestein" unseres Vereins aus den Anfangsjahren der IPPNW mit gerade eingetretenen "Erstsemestern" aus dem Studium; Pflegekräfte und Pflegewissenschaftler diskutierten mit Ärzten und Ökonomen; designierte Experten aus dem Nationalen Ethikrat, Mitglieder der Bundestags-Enquete und Experten aus dem Beirat des Bundesgesundheitsministeriums suchten die Debatte mit der "praktizierenden Basis" im Gesundheitswesen. Michael Wunder, Enquete-Mitglied aus Hamburg: "Es gab nicht nur spannende Diskussionen, ich habe bei einigen der Veranstaltungen auch sachlich dazugelernt". Kurzum: Das Konzept war aufgegangen, einen IPPNW-Kongress zu veranstalten, der sich Interessierten öffnen und die breite Diskussion fördern wollte. Die besondere Vielfalt der Themen hat zu diesem Gelingen sicherlich beigetragen.

Und auch das, was nicht in der Hand der Organisatoren lag, klappte hervorragend. Drei Tage Wärme und Sonnenschein sorgten über Christi Himmelfahrt rund um den Erlanger Schlossgarten für beste Stimmung. Wer zum 2. IPPNW-Kongress Medizin und Gewissen gekommen war, erlebte eine nachdenkliche und zugleich heitere Atmosphäre, die bis zum letzten Tag anhalten sollte. "Das erinnert bisweilen an ein richtig gutes Familienfest", so Hermann Löffler vom Frankfurter Mabuse Verlag.

Auch die IPPNW kann solche Familienfeste und eher ungewöhnlichen Fachkongresse bisweilen vertragen, passen sie doch in die Tradition einer Organisation, die von Anfang an die fachlichen Fragen mit den Fragen des Gewissens verbunden hat. "Wider die Bedenkenlosigkeit!" - das sollte ein Signal sein, das vom Erlanger Kongress ausgehen. Oder um es mit Horst Eberhard Richter und im Sinne einer Pro-Bewegung zu sagen: Wir wollten den Mut stärken für das Bedenken.

Stephan Kolb

 
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