Vorstellung unserer Gruppe
So wie wir Ärzte auf die Selbstheilungskräfte der Natur zur Unterstützung unserer Therapien bauen, so liegen solche Selbstheilungskräfte auch in unserer psychischen Natur und unserer Gesellschaft bereit, um Wege zur gewaltfreien Heilung gefährlicher Konflikte und zur Humanisierung unserer Kultur zu finden.
Horst-Eberhard Richter 2005
Gemeinsame Ziele
Aus der Überzeugung, dass Frieden und Gerechtigkeit nur mit Hilfe kritischer, informierter und engagierter Menschen möglich sind, fühlen wir uns als Ärzt*innen verpflichtet, über die Ursachen und die medizinischen Folgen von Kriegen aufzuklären und unser Wissen darüber zu verbreiten. Wir sehen es ebenso als unsere Aufgabe an, auf gesellschaftliche Missstände und Fehlentwicklungen hinzuweisen und uns für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Wir verstehen uns als eine Gruppe von Ärzt*innen, die der Friedensbewegung angehört und die sich gegen den Abbau sozialer Rechte wendet.
Die Anfänge
Die medizinische Friedensbewegung konstituierte sich in Nürnberg 1981 nach dem „1. Medizinischen Kongress der bundesdeutschen Ärzteinitiativen gegen Atomenergie und gegen die atomare Bedrohung“ in Hamburg. Es war die Zeit des Kalten Krieges und der Ost-West-Konfrontation der beiden atomaren Supermächte. Die Ärzte- und Basis-Initiativen arbeiteten unabhängig als eigenständige regionale Initiativen. In Nürnberg hatten sich damals 15 Ärzt*innen in der „Friedensinitiative Gesundheitswesen – gegen die Militarisierung der Medizin“ zusammengefunden.
Im Dezember 1981 traten wir zum ersten Mal mit der Erklärung „Nürnberger Ärzte warnen vor dem Atomkrieg“ an die Öffentlichkeit. Wir machten darauf aufmerksam, dass eine medizinische Versorgung der Bevölkerung im Falle eines Atomkrieges aussichtslos ist, und verweigerten die Teilnahme an Katastrophenmedizin, Kriegsmedizin und Zivilschutz.
In den 80er Jahren standen die Auswirkungen von Atombombenversuchen und die zivile Nutzung von Atomkraft im Vordergrund. Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl / Ukraine am 26. April 1986 hatten unsere Veranstaltungen über die Folgen der Katastrophe und über atomare Niedrigstrahlung großen Zulauf.
Weitere Aktivitäten berührten die Rolle der Ärzt*innen vor und in den bisherigen Kriegen, vor allem auch während des Nationalsozialismus. Eine eigene Arbeitsgruppe untersuchte das Schicksal jüdischer und politisch missliebiger Ärzt*innen und anderer Mitarbeiter im Gesundheitswesen Nürnbergs während der NS-Zeit.
1982 hatte sich in Frankfurt die IPPNW, Sektion Deutschland gebildet, der wir uns 1985 anschlossen. Seit der Vereinigung der beiden deutschen Sektionen der IPPPNW trägt auch unsere Gruppe den Zusatznamen „Ärzte in sozialer Verantwortung“. Seit 1992 besitzen wir den Status eines gemeinnützigen Vereins.
Unsere Treffen
Jeden Monat kommen wir zu einem festen Termin zusammen und haben jedes Mal ein umfangreiches Programm nach einer Tagesordnung zu behandeln, es ergeben sich aber auch informelle, freundschaftliche Gespräche in entspannter Atmosphäre. Berichte von aktuellen Ereignissen, Stellungnahmen nach außen, Diskussionen zu vorbereiteten Themen, Organisation von Veranstaltungen, Abstimmungen und Aufgabenverteilungen füllen die Abende aus. Über jede Gruppensitzung werden Besprechungsprotokolle verschickt.
Zur Kontaktaufnahme siehe hier.
Was uns beschäftigt
Gefahren eines Atomkrieges
Für uns steht der Begriff Prävention ganz im Vordergrund. Angesichts der atomaren Bedrohung hat dies eine überlebenswichtige Bedeutung. Denn ein Atomkrieg ist nicht unwahrscheinlicher, sondern durch die Ausweitung der Atommächte, die Entwicklung kleiner, taktischer Atomwaffen und den Terrorismus wahrscheinlicher geworden. Auch die friedliche Nutzung von Kernenergie kann der Vorbereitung zum Bau einer Atombombe dienen, wenn die Kontrollmechanismen versagen. Die einzige Lösung ist die Abschaffung aller Atomwaffen und der Ausstieg aus der Atomenergie, wie es die IPPNW seit ihrer Gründung fordert.
Demonstration gegen den Irakkrieg
Warnung vor Ausbruch von Konflikten und friedliche Lösungsversuche sind Forderungen der weltweiten Friedensbewegung zur Vorbeugung von Kriegen. Letztes Beispiel war der Irakkrieg vom 20. März bis 7. Mai 2003. Schon vor diesem Krieg haben wir eine Aktion am Flughafen Nürnberg unter Beteiligung örtlicher Friedensgruppen in Szene gesetzt, um gegen Truppentransporte zur Kriegsvorbereitung zu protestieren.
Man erinnert sich an den sog. „zweiten“ Golfkrieg von 1991, bei dem wir in einer ähnlichen Darstellung der „mahnenden Weisen aus dem Morgenland“ am Dreikönigtag auf einen Eroberungskrieg um Öl reagiert hatten. Es folgten Aktionen gegen den Jugoslawienkrieg, den Einfall in Afghanistan und erneut im Irak. Der jeweils propagierte „Kampf für die Freiheit“ entlarvte sich als die Freiheit des Überlegenen zur Gewaltanwendung ohne Rücksicht auf unschuldige Opfer und rechtliche Bedenken; er wird zum Recht des Stärkeren.
Ostermarsch 2003
„Eine friedlichere Welt“ ist auch die Botschaft der Ostermärsche, an denen wir uns jedes Jahr beteiligen. Z.B. haben wir bei der Abschlusskundgebung am 21. April 2003 vor der Lorenzkirche in Nürnberg die katastrophalen Folgen des Irakkrieges deutlich gemacht und auf die zahllosen Verletzten, die mangelnde Wasserversorgung, Behinderung der Hilfslieferungen, die Zerstörung und Plünderung von Krankenhäusern, fehlende Medikamente für Infektionskrankheiten und psychische Traumatisierung, Minenverseuchung und Langzeitschäden durch uranhaltige Munition hingewieswen.
„Die Ärzte von Basra“
Gerade die Zerstörung des Gesundheitswesens im Irak durch den Krieg war das Thema einer Performance auf den wöchentlichen Friedensmärschen während des Irakkrieges in Nürnberg: Die „Ärzte von Basra“ wurden in einer gespielten Szene dargestellt, wie sie die Zerstörung und Plünderung von Krankenhäusern, den Zusammenbruch der Strom- und Wasserversorgung und Mangel an Geräten und Medikamenten erleben mussten. Die Parole lautete „Frieden ist die beste Medizin!“
„Grenzen der Solidarität“
Der Irakkrieg 2003 hat weltweite Proteste und viele Diskussionen ausgelöst über die Frage, wie eine internationale Friedensordnung aussehen kann. Dazu haben wir die Publizistin Dr. Gret Haller zu einem öffentlichen Vortrag über das Thema „Europa und die USA im Umgang mit Krisen, Krieg und Völkerrecht“ eingeladen. Sie vertritt die These, dass das europäische Modell der gegenseitigen Nichteinmischung bei gleichzeitiger Stärkung der Rolle der UNO und des Internationalen Gerichtshofes ein für die Zukunft tragfähiges Modell sein könnte.
Der Abschnitt in der Europäische Verfassung, in dem es heißt: „Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ (Kapitel II, Artikel 40, Absatz 3), ist für uns keine mögliche Leitlinie für eine europäische Friedenspolitik.
Rüstung auf Kosten der Gesundheit in aller Welt
Die exzessiven Rüstungsausgaben der Industrienationen haben zur Folge, dass Mittel für soziale Aufgaben und die Entwicklungshilfe fehlen. Dies verschärft das Problem der Abhängigkeit vieler Entwicklungsländer von westlichen Krediten. Die Folgen sind Verarmung, mangelhafte Bildung und unzureichende Gesundheitsversorgung, Analphabetismus, Bevölkerungsexplosion, soziale Konflikte, Kriege und Flüchtlingsströme.
Gefährdete Gesundheitsversorgung
Die Auswirkungen der neoliberalen Marktwirtschaft und eine zunehmende ökonomische und soziale Ungleichheit beobachten wir auch in unserem Land. Mit Sorge beobachten wir die Entsolidarisierung unserer Gesellschaft und die Tendenz, auch die Gesundheitsversorgung nicht mehr als gemeinschaftliche Aufgabe zu verstehen. Die öffentlichen Ausgaben für Gesundheit werden immer mehr reduziert. Dem Einzelnen werden immer mehr an Kosten aufgebürdet, was besonders die größer werdende Schicht der sozial Schwachen und Arbeitslosen trifft. In einer öffentlichen Veranstaltung haben wir auf die Konsequenzen der Gesundheitsreform von 2004 aufmerksam gemacht.
Wir erleben eine Verschlechterung der Sozialleistungen und haben die Befürchtung, dass notwendige medizinische Behandlungen künftig Kassenpatienten vorenthalten werden können. Aus Not versäumen Patienten die erforderlichen Untersuchungen und erhalten nicht mehr die optimale, sondern nur noch eine ausreichende Behandlung. Das Solidarprinzip wird durchlöchert durch eine immer umfangreichere Selbstbeteiligung im Krankheitsfall - vor allem für Patienten, die die Kosten selber nicht aufbringen können.
Vergleich der Gesundheitssysteme
Gruppenintern haben wir uns die Frage gestellt, an welchen Gesundheitssystemen anderer Länder wir uns orientieren können. Ein Vergleich der unterschiedlichen Modelle ergab, dass die Marktorientierung im Gesundheitswesen zu einer Verschlechterung des allgemeinen Versorgungsniveaus führen kann, aber nicht zu einer Kostensenkung führen muss.
Traumatisierte Flüchtlinge
Ein Anliegen ist uns die menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen in Deutschland. Wir wenden uns gegen die Abschiebung von Asylsuchenden und traumatisierten Flüchtlingen. Wir fordern eine angemessene medizinische Behandlung unabhängig vom legalen Status. In einer Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Thema „Ärzte als Abschiebehelfer” haben wir uns gegen fragwürdige Haft- und Abschiebepraktiken, an denen auch Ärzte beteiligt waren, ausgesprochen. Der Schutz vor Misshandlungen in Abschiebehaft muss gewährleistet sein. Psychisch traumatisierte Flüchtlinge benötigen fachliche Betreuung.
Gemeinsam gegen rechts
In Raum Nürnberg-Erlangen-Fürth ist ein Netzwerk von sozialen und friedenspolitischen Gruppierungen mit gemeinsamer Zielrichtung entstanden, mit denen wir regelmäßig Kontakt halten. Als Reaktion auf mehrere Naziaufmärschen hatte unsere Gruppe im März 2004 zu einer Initiative aufgerufen, die unter der Moderation von Dr. Elisabeth Wentzlaff zu einem Bündnis gegen Naziaufmärsche in Nürnberg führte.
Kongresse
Kongress "Medizin und Gewissen" 1996
In den Jahren 1996 und 2001 sind wir als Organisatoren von zwei internationalen Kongressen mit dem gemeinsamen Obertitel "Medizin und Gewissen" hervorgetreten. Der erste Kongress in Nürnberg unter der Leitung von Dr. Horst Seithe hatte den thematischen Schwerpunkt "Medizin ohne Menschlichkeit". Der Kongress galt wesentlich der Aufarbeitung der Verbrechen deutscher Ärzte während der Nazizeit und dem ehrenden Gedenken der Opfer von Tötungsaktionen und Menschenversuchen in den Konzentrationslagern. Nach dem Krieg fand in Nürnberg (neben dem Hauptkriegsverbrecher-Prozess und weiteren Prozessen gegen Nazi-Täter) auch der Ärzteprozess gegen 23 angeklagte Ärzte statt, von denen 6 hingerichtet wurden.
Genau 50 Jahre nach dem Tag der Anklageerhebung am 25. Oktober 1946 begann unser Kongress. An den 11 Plenarveranstaltungen und 64 Foren rund um die "Straße der Menschenrechte" in Nürnberg nahmen 1600 Besucher, 150 Referenten und 100 Journalisten teil. Das Ereignis fand ein großes überregionales Echo und wurde in zahlreichen Presseberichten auch international kommentiert.
Mit dem weiteren Kongressthema "Die immanenten Gefahren der modernen Medizin" haben wir bewusst die fragwürdigen Entwicklungen und Medizintechniken in unserer Zeit zur Diskussion gestellt. Die wesentlichen Beiträge sind in einem Kongressband und in einer CD mit Bildmaterial verfügbar und können beim Verlag erworben werden.
Kongress "Medizin und Gewissen" 2001
Der zweite Kongress fünf Jahre später in Erlangen stand unter dem Motto "Wenn Würde ein Wert würde ..." und griff in die aktuelle Diskussion über Menschenrechte, Gesundheitspolitik, Technologiefolgen und Friedensthemen ein. Unter der Leitung von Stephan Kolb übernahmen die Studierendengruppe der IPPNW Erlangen zusammen mit einem berufsübergreifenden Kreis die Vorbereitung, inhaltliche Orientierung und Organisation.
Zur Veranstaltung kamen 1400 Teilnehmer, 140 Referenten und 100 Journalisten und erlebten drei Tage voller Informationen und zum Teil heftiger Debatten. Die damalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes Jutta Limbach setzte mit ihrer Eröffnungsrede "Menschenwürde, Menschenrechte und Fortschritt der Medizin" den ersten Schwerpunkt. Horst-Eberhard Richter mahnte die Ehrfurcht vor dem Leben an, wenn es darum geht, mit Biotechnologie Leben zu manipulieren, und erinnerte an die "Tugend des Bedenkens". Die Kontroversen entzündeten sich an weiteren Themen wie Selbstbestimmung von Patienten und Behinderten, Wertorientierung in der Pflege, Sterbehilfe, Folter, Flucht und Kommerzialisierung des Menschenrechts Gesundheit. In den Foren wurden ethische Maßstäbe erarbeitet, die mit den Grundüberzeugungen der Veranstalter übereinstimmen. Zu diesen vielfältigen Themen liegt ebenfalls eine Dokumentation in Form eines Kongressbandes vor.
Kommende Aufgaben
Zur Zeit spielt sich im Verborgenen eine „revolutionäre militärtechnische Entwicklung“ ab. Erschreckend ist dabei die Kluft zwischen destruktiver Technologie und politischem Gewissen. Unter einem militärischen Einsatz mit humanatären Begründung verbirgt sich nicht selten eine Machtpolitik und die Strategie für eine globale Weltordnung. In die Konflikte der Dritten Welt wird durch Militärinterventionen eingegriffen, auch um marktliberale Strukturen für den Westen herzustellen. Die Profitinteressen der globalisierten Wirtschaft sollen militärisch abgesichert werden.
Es kommt darauf an, diesen Zusammenhang zwischen Globalisierungskritik und Friedenspolitik deutlich zu machen. Über den Protest hinaus bedarf es einer neuen Diskussion über Strategien ziviler Konfliktbearbeitung, in denen Alternativen zur Militarisierung internationaler Politik entwickelt und in der Öffentlichkeit dargestellt werden.
Einseitige Machtpolitik hat Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Wohlstand und den sozialen Frieden. Nicht nur die Alterung der Gesellschaft und die schrumpfende Bevölkerung, sondern auch die Rüstungskosten, die ausschließliche Orientierung auf Gewinnmaximierung der Großkonzerne und die Spekulationsinteressen auf den Weltmärkten entziehen dem Staat Mittel, die für Investitionen, Bildung und unsere Sozialsysteme fehlen. Das soziale Gefälle sowohl zwischen den Staaten als auch innerhalb der Länder nimmt zu. Unser Anliegen ist die gerechte Einkommensverteilung in Zeiten eines geringeren Wirtschaftwachstums.
Medizinethische Fragen am Anfang und Ende des Lebens werden weiter an Aktualität gewinnen. Ein Problemkreis ist die aktive Sterbehilfe, die bereits in einigen Ländern legalisert ist, die aber auch auf uns zukommen könnte. Bei einer älter werdenden Bevölkerung wird dies zu einer zentralen Frage gerade auch unter ökonomischen Gesichtspunkten. Denn 50 % der gesamten Gesundheitskosten eines Menschen entfallen im Durchschnitt auf die letzten zwei Jahre seines Lebens. Eine Lebenszeitverkürzung durch unterlassene Therapie gegen den Willen des Patienten könnte dann mit „ethischen“ Argumenten akzeptabel gemacht werden.
Wir wollen „Präventivmedizin“ innerhalb des politischen Prozesses betreiben. Dazu gehört, dass wir auf Entwicklungstendenzen und Gefahren reagieren und versuchen, realistische Gegenvorschläge zu entwickeln. Auf lokaler Ebene kann dies nur gezielt an Einzelprojekten geschehen, die beispielhaft sind für die allgemeine Schieflage. Es können nicht alle Dimensionen des Friedens thematisiert werden. Eine einseitige Berichterstattung in den Medien werden wir durch eigene Stellungnahmen korrigieren, einer etablierten Meinung die eigene Betrachtungsweise entgegensetzen. Als politische Mediziner mischen wir uns in die öffentliche Auseinandersetzung ein und fordern:
- Atomwaffenstopp
- Ausstieg aus der Atomenergie und Förderung alternativer Energiequellen
- Konfliktlösung mit friedlichen Mitteln
- gerechte Handelsbedingungen für ärmere Länder
- Armutsbekämpfung weltweit und bei uns
- würdige Behandlung von Asylsuchenden
- gleichmäßige Verteilung von Risiken durch die Solidargemeinschaft