Foto: Hauptkriegsverbrecher
Hauptkriegsverbrecher-Prozess

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Nürnberg und das Völkerstrafrecht

Die Nürnberger Prinzipien Ihre Geschichte und ihre heutige Bedeutung

Referat von Helmut Sörgel bei der IPPNW in Nürnberg am 18.10.2018

anlässlich 70 Jahre "Nürnberger Prinzipien" und 20 Jahre "Römisches Statut"

Im Saal 600 des Nürnberger Justizpalastes wurde Weltgeschichte geschrieben.

In ihm wurde ab 1945 dem nationalsozialistischem Terrorregime der Prozess gemacht. 1945/46 der Hauptkriegsverbrecherprozess, von 1946 bis 1949 die zwölf Nachfolgeprozesse. Durch diese Prozesse erfuhr die Weltöffentlichkeit von dem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß der NS-Verbrechen.

Zum Hauptprozess: Die vier alliierten Siegermächte USA, Russland, England und Frankreich einigten sich im August 1945 auf die Rechtsprinzipien, nach denen der Prozess gegen die 24 Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof im Saal 600 dann geführt wurde ("Londoner Statut"). Zum ersten Mal in derWeltgeschichte erhob ein internationales Gericht Anklage gegen führende Vertreter eines Staates wegen der Verletzung völkerrechtlicher Strafrechtsnormen.

Wegen dreier Straftatbestände wurde angeklagt und verurteilt:

  1. Verbrechen eines Angriffskrieges oder auch Verbrechen gegen den Frieden . Dieser Tatbestand angesichts des Sachverhalts, dass Nazideutschland ganz Europa mit Angriffskriegen überzogen hatte, am schlimmsten Polen und die Sowjetunion. Neu im Völkerrecht.
  2. Kriegsverbrechen. Ist seit der Haager Konvention von 1907 als Völkerrechtsnorm definiert
  3. Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde als neue Norm eingeführt angesichts der Verbrechen an der europäischen Zivilbevölkerung.

Der Hauptmotor des Prozesses war der US-amerikanische Chefankläger Robert Jackson. Sein großes Anliegen war der Straftatbestand "Verbrechen gegen den Frieden" ("Angriffskrieg"). In seiner Eröffnungsrede 1945 sagte er: "Und lassen Sie mich es deutlich aussprechen: Dieses Gesetz wird hier zwar auf die deutschen Angreifer angewandt. Es schließt aber ein und muss, wenn es von Nutzen sein soll, den Angriff jeder anderen Nation verdammen. Nicht ausgenommen die, die jetzt hier zu Gericht sitzen !" Damit erhebt Jackson einen universalen Anspruch !

Nürnberg hat einen wahrhaften Umbruch im Völkerrecht gebracht. Der Angriffskrieg ist nicht nur völkerrechtswidrig und verboten. Er ist ein strafrechtlich zu verfolgendes Verbrechen, unabhängig vom jeweiligen innerstaatlichen Recht. Für dieses Verbrechen ist nicht nurder Aggressorstaat als Völkerrechtssubjekt verantwortlich und haftbar. Es besteht auch eine persönliche strafrechtliche Verantwortlichkeit der ranghöchsten Personen in Regierung und Militär. Man kann die Bedeutung dieses Umbruchs nur verstehen, wenn man bedenkt, dass das Recht, auch mit Krieg seine Interessen zu verfolgen, über Jahrhunderte geradezu das Markenzeichen souveräner Staatlichkeit war.

Bereits wenige Wochen nach dem Abschluss des Nürnberger Prozesses bestätigte die Generalversammlung der Vereinten Nationen die neuen Rechtsprinzipien aus dem Statut und dem Urteil des Nürnberger Gerichtshofes. Diese Prinzipien wurden von der Völkerrechtskommission der UNO ausformuliert und im Juli 1950 als "Nürnberger Prinzipien " veröffentlicht. Seither sind sie verbindlicher Bestandteil des Völkerrechts. Das war auch gleichzeitig die Geburtsstunde des Völkerstrafrechts.

In den Nürnberger Prinzipien werden in sieben Rechtgrundsätzen einerseits die drei Hauptverbrechen definiert. Andererseits wird die persönliche strafrechtliche Verantwortlichkeit für völkerrechtliche Verbrechen festgelegt, unabhängig von Rang und Stellung der betreffenden Person.

Die Nürnberger Prinzipien wurden damit zum mahnenden Zeigefinger des Weltgewissens, zum Wächter des Weltfriedens:
" Lasst ab von den Angriffskriegen !"
" Lasst ab von Kriegsverbrechen !"
" Lasst ab von den Verbrechen gegen die Bevölkerung !"

Wie ging es nun weiter mit dem Völkerstrafrecht ?

Es hat 50 Jahre gedauert, bis die Pläne der UNO verwirklicht wurden, aus den Nürnberger Prinzipien eine internationale Strafgerichtsbarkeit zu entwickeln. Nach langen und zähen Verhandlungen ("Römisches Statut" 1998) wurde 2002 der Internationale Strafgerichtshof (ISTGH ) in Den Haag errichtet. Ihm sind zwischenzeitlich weit über 100 Staaten beigetreten. Darunter fast alle europäischen und lateinamerikanischen Staaten, ebenso Deutschland. Wichtige Staaten wie USA, Russland, China, Indien und Israel fehlen noch.

Straftatbestände, mit denen in Den Haag gegenwärtig angeklagt und verurteilt wird, sind "Kriegsverbrechen", "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und neu hinzugekommen "Verbrechen des Völkermords".

Um den "Angriffskrieg" als Tatbestand wurde in den letzten Jahren heftig gerungen. 2010 beschlossen die Mitglieder des ISTGH, dass in Zukunft auch völkerrechtswidrige Angriffskriege vor Gericht gestellt werden dürfen. Diese Entscheidung soll im November diesen Jahres herbeigeführt werden und in Kraft treten.

Das heißt, wenn das nächste Mal der Vorwurf des Angriffskrieges im Raum steht, dann könnte sich, 70 Jahre nach Nürnberg, erstmals wieder ein Weltgericht einschalten, ein Urteil sprechen und echte Strafen verhängen.

Ich möchte noch eine Bemerkung anschließen: Wenn der ISTGH bereits früher bestanden hätte, dann wäre es durchaus denkbar gewesen, dass die Regierung Nixon wegen des Angriffskriegs gegen Vietnam vor Gericht gestanden wäre. Und die Regierung Schröder/ Fischer wegen des Angriffskriegs gegen Serbien 1999. Und die Regierung Bush wegen des Angriffskriegs gegen den Irak 2003.

Zum Schluss eine Grußbotschaft:

Von Nürnberg, der Stadt des Friedens, soll mit den Nürnberger Prinzipien folgende Botschaft an die Mächtigen dieser Welt ausgehen:

Wenn ihr einen Angriffskrieg führt, begeht ihr ein Verbrechen gegen den Frieden und macht euch vor der ganzen Welt strafbar. Und ihr werdet eines Tages dafür bestraft werden.

Helmut Sörgel

 
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