Thementagung am 19. Oktober 2019 in Nürnberg
Mit Vollgas in die Digitalisierung – wie kriegen wir die Kurve?
Vertraulichkeit und Patientenautonomie in Gefahr
Warum beschäftigten wir uns mit „Big Data“?
IPPNW-Thementagung „Medizin und Gewissen“ am 19.10.2019
Mit der Vertraulichkeit von Daten und Patientenautonomie beschäftigte sich die IPPNW- Thementagung „Mit Vollgas in die Digitalisierung – wie kriegen wir die Kurve? - Vertraulichkeit und Patientenautonomie in Gefahr“ am 19. Oktober 2019 in Nürnberg. Die Themenreihe „Medizin und Gewissen“ bot die Gelegenheit zur gemeinsamen Analyse und Diskussion medizin- und sozialethischer Themen im Kontext der Digitalisierung. Im Zentrum des Kongresses standen Fragen, wie der im Nürnberger Kodex geforderte „informed consent“ der Patient*innen und das vom Bundesverfassungsgericht formulierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung aller Beteiligten heute und künftig gewahrt werden – und was die im Gesundheitswesen Tätigen hierzu beitragen können.
Die Sammlung und Zusammenführung großer Datenmengen von Informationen über gesunde und kranke Versicherte zum Zweck, sie wissenschaftlich aufzuarbeiten und damit Krankheiten auf die Spur zu kommen, erscheint auf den ersten Blick sinnvoll. Auch die einfachere Führung von Patientenakten in Zeiten von multiplen, parallel verlaufenden Handlungssträngen im Krankenhaus kann zunächst Vorteile bringen: Zeitersparnis und eine bessere Übersicht und Vernetzung von Diagnostik und Therapie mögen nur zwei davon sein. Jedoch gibt es vor allem für Patient*innen ernste Gefahren, die bei der Digitalisierung berücksichtigt werden müssen. Daten von Patient*innen werden bereits heute erhoben und damit digitale Repräsentationen erstellt, die für ihre Versorgung genutzt werden. Künftig sollen diese digitalen Repräsentationen aus unterschiedlichen Bereichen in einen zentralen Pool eingebracht werden, um sie auch anderen Verwendungen als der unmittelbaren Versorgung der Patient*innen zugänglich zu machen.
Durch die Herauslösung der Patientendaten aus der Verbindung mit der individuellen Person des Patienten entsteht zunächst eine Anonymisierung des Einzelnen. Werden diese Daten in einer Sammlung zusammengeführt, wird das Individuum zu einer entpersonalisierten Zahl. Der Einzelne und besonders seine Merkmale werden zu namenlosen Objekten eines scheinbar objektivierbaren Systems. Dies kann Vorteile bei der Erkennung von Krankheiten bieten, besonders, wenn diese Krankheiten selten sind und große Datenmengen nötig werden. Bei dem Prozess geht jedoch die Individualität des Einzelnen verloren, was auch im Sinne des Schutzes seiner Persönlichkeit erforderlich ist.
Durch die „neutrale“ Erfassung möglichst vieler Merkmale kann zudem im Rückschluss eine „Pseudoindividualisierung“ des Einzelnen möglich werden. Mittels Nachverfolgung seiner spezifischen Merkmale ist so doch der Rückschluss auf eine bestimmte Person möglich. Besonders wenn diese Sammlung, wie im Fall des DRG-Systems, auf Schadensmerkmale ausgerichtet ist, findet so eine diskriminierende Selektion statt. Wird diese Auswahl mit Maßstäben der Ökonomie und des „freien Marktes“ verknüpft, besteht die Gefahr, dass ein Selektionsdruck entsteht, dem besonders die Menschen zum Opfer fallen, die viele dieser „negativen Krankheitsmerkmale“ aufweisen.
Ein kompletter Schutz der persönlichen, erfassten Daten ist leider nicht möglich, d.h. ein Rückschluss auf den Patienten ist immer denkbar. Eine diskriminierende Veröffentlichung ist nicht umkehrbar, egal ob sie durch Weitergabe personifizierter Daten oder einen Rückschluss aus anonymisiertem Material erfolgte. Auch eine patientenschädigende Nutzung der gesammelten Informationen kann nie mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Deshalb ist es unerlässlich, dass dieser Missbrauch im Sinne des Bruchs einer „erweiterten Schweigepflicht“ konsequent als Straftat verfolgt wird. Bezogen auf den Patienten ist zu fordern, dass er über die Auswirkungen und Risiken der Abgabe seiner Datenhoheit umfassend informiert werden muss. Er benötigt als autonome Person auch das Recht zur Verweigerung der Weitergabe seiner Daten, ohne auf eine Behandlung verzichten zu müssen. Es liegt in der Hand von uns Ärzt*innen, die Patient*innen auf diese Gefahren, die sich mit einer zunehmenden Digitalisierung verbinden, klar und deutlich hinzuweisen.
Elisabeth Heyn
Vorsitzende der IPPNW-Regionalgruppe Nürnberg – Fürth – Erlangen.